Rabien und die Zeitgeschichte

Ein farbiger Spiegel der Geschichte unseres Hauses zwischen 1905 und 1955 - und zugleich der Zeitgeschichte - erschien 1955 als Sonntagsserie der BERLINER MORGENPOST unter dem Titel:


Hier können Sie alle Folgen der 13-teiligen Serie nachlesen

Folge 12 / 13

"In Potsdam mal konditern gehn..." Geschichte aus 5 Jahrzehnten – erlebt im Café Rabien.
  • Konditorn in Sanssouci


In Potsdam mal konditern gehn

Geschichte aus 5 Jahrzehnten – erlebt im Café Rabien / von Franz Born, erschienen 1955 als Sonntagsserie der BERLINER MORGENPOST

Teil XII - Ein schwerer Entschluß

In den späten Abendstunden des 14. April 1945 gaben die Luftschutzsirenen Vorwarnung für Potsdam. Kurze Zeit darauf leuchteten die berüchtigten „Christbäume“ am Nachthimmel auf: Markierungszeichen für das Abwurffeld. Gegen 23 Uhr begann der vernichtende Angriff; dreißig Minuten lang lag die Stadt unter pausenlosem Bombenhagel. Fast die gesamte Altstadt wurde vernichtet: Stadtschloß, Garnisonkirche und St. Nikolai lagen zerstört. Wie durch ein Wunder war das Haus der Konditorei Rabien am Brandenburger Tor stehen geblieben.

Branddunst lag über der Stadt; es gab kein Wasser und kein Licht mehr in den Häusern. Die Konditorei mußte geschlossen werden; die zertrümmerten großen Schaufenster wurden durch eine notdürftige Bretterverschalung ersetzt, Am Brandenburger Tor vorbei zog der große Treck der Flüchtenden, die alle noch hofften, nach Nordwesten aus dem Ring ausbrechen, zu können, der sich immer enger um Berlin und Potsdam zog. Schon tauchten SS-Trupps in den Straßen auf und richteten Maschinengewehrnester ein.

Eine Woche nach dem Bombenangriff — die Front war inzwischen schon bedrohlich nahe gerückt — überredete das noch verbliebene Personal die Meisterin endlich, doch noch den Versuch zu machen, zu ihren Kindern in die Nähe von Bremen zu kommen. Jetzt führte der einzige „freie“ Weg in Richtung Lübeck schon durch die sogenannte „Hauptkampflinie“.

Es war kein leichter Entschluß für die Meisterin, das alte Haus zurückzulassen und sich auf einem Fahrrad ins Ungewisse hinauszuwagen. In den letzten Tagen noch hatte sie ein älteres, befreundetes Ehepaar, dessen Wohnung ausgebombt war, aufgenommen und gebeten, wenn irgend möglich Wohnung und Geschäft vor dem Schlimmsten zu bewahren.

Die schwersten Tage

Und dann brach das Inferno der letzten Kriegstage über Potsdam herein. Unablässig rollten noch Lastkraftwagen mit Verwundeten nach Südwesten, während gegenüber von Park Babelsberg bereits Schützengräben ausgehoben wurden. Und obwohl auch hier die SS „entschlossen“ war, die Stadt „bis zum letzten Mann“ zu halten, war das drohende Unheil schon längst nicht mehr aufzuhalten.

Am 28. April stand ein schweres Gewitter über Potsdam; Regengüsse rauschten hernieder. Kurz danach tauchten, von Bornstedt her, die ersten russischen Panzer auf; in die Stadt waren schon vorher russische Scharfschützen eingedrungen, und der Platz am Brandenburger Tor lag unter ihrem Feuer. Den Panzern folgten lange Kolonnen mit Panjewagen voller Soldaten: die Russen waren da!

Bis die Kommandantur endlich Ordnung schaffte, gab es eine turbulente Zwischenzeit. Auf dem Luisenplatz am Brandenburger Tor vergnügten sich die russischen Soldaten mit Radfahren und drangen immer wieder in die Häuser ein und durchsuchten die Wohnungen. Eines Vormittags glaubten die Bewohner des Luisenplatzes tatsächlich, daß nun ihre letzte Stunde gekommen sei.

Am Brandenburger Tor wurden auf einmal Barrikaden errichtet; schwere russische Panzer fuhren auf; vor der Konditorei ging eine Kompanie in Feuerstellung. Die verängstigten, hinter herabgelassenen Jalousien verborgenen Zuschauer atmeten erst auf, als sie begriffen, was da geschah. Zuletzt nämlich erschienen große Sonderwagen mit Filmkameras: die russische Wochenschau filmte hier noch einmal die „Eroberung von Potsdam“!

Die Uniformen der russischen Offiziere und Soldaten beherrschten jetzt das Straßenbild. Auf dem Wilhelmsplatz, dessen anliegende schöne alte Häuser trostlos zerbombt waren, wurde „schwarzer Markt“ abgehalten, ebenso auf dem Luisenplatz zwischen der Konditorei Rabien und der Eingangs-Straße zum Park von Sanssouci.

Bald fand sich das alte Personal in der Konditorei vollzählig ein; man beschloß, das Cafe wieder zu eröffnen, obgleich man noch nicht einmal wußte, ob es überhaupt eine Backerlaubnis gab oder man irgend etwas ausschenken konnte.

Eine Backerlaubnis gab es auch nicht. Aber unter Duldung der Kommandantur trank man schon Anfang Juni wieder „bei Rabien" echten Bohnenkaffee, der natürlich vom Schwarzmarkt stammte; eine kleine Tasse Kaffee kostete damals 5 Reichsmark. Und dann gab es noch eine Art Fleischbrühe, die man mühsam aus dünner Suppe und einigen Wurstgewürzen „zauberte“.

 Schloß Sanssouci blieb erhalten. Tausende von Ostbesuchern, darunter zahlreich vertreten die Angehörigen der russischen Besatzungsmacht, erleben hier die Schönheit einer vergangenen Welt. Foto: privat

Mit aller Energie versuchten die Potsdamer, diese schlimme Zeit durchzustehen; es ist eine erstaunliche Tatsache, daß bereits am 28. Mai der Städtische Chor schon wieder für eine große Aufführung probte, daß man in jeder Weise versuchte, das kulturelle Leben der Stadt wiederzuerwecken.

Durch die Konferenz von Potsdam stand die zertrümmerte Stadt noch einmal für kurze Zeit im Mittelpunkt des Weltgeschehens. Die „Großen Drei“ verhandelten in Cecilienhof, dem einstigen Schloß des Kronprinzen im Neuen Garten, über Deutschlands Schicksal. In weitem Umkreis war das Gebiet um die Babelsberger Villen und um den Neuen Garten abgesperrt; die Häuser waren rücksichtslos geräumt worden, um den Konferenzteilnehmern Platz zu machen. Viele der Bewohner durften nie wieder zurückkehren unter ihnen war auch die große Schauspielerin Hermine Körner, die lediglich mit ihrer Handtasche und mit ihren Hunden ihr Haus verlassen durfte. Die gesprengte Glienicker Brücke lag zu dieser Zeit noch in Trümmern; eine hölzerne Notbrücke führte direkt über die Havel in den Neuen Garten.

Ende Oktober tauchte überraschend Meister Rabien in der Konditorei auf. Er hatte eine wahre Odyssee hinter sich. In den letzten Kriegstagen war er noch in Ungarn im Einsatz gewesen. Mit ein paar Kameraden hatte er sich durchgeschlagen, war glücklich durch die Tschechei gekommen, hatte auf Schleichpfaden den Bayerischen Wald durchwandert und war erst im Thüringer Wald in ein amerikanisches Lager geraten. Das Glück blieb ihm treu; hier kam er sehr bald in eine Gruppe, die nach Hause entlassen wurde, und so traf er schon im Juni in dem kleinen Ort an der Weser ein, wo er seine Frau und seine Kinder vorfand. Er wußte und hörte in den folgenden Monaten nichts von Potsdam. Freunde und Bekannte wollten ihn überreden, in der Nähe von Bremen zu bleiben und dort neu anzufangen.

Kuchen auf Fleischmarken!

Doch die Ungewißheit über das Schicksal der Konditorei ließ ihm keine Ruhe. Im Oktober ging er über die „Grüne Grenze“ und als er jetzt sein Haus unzerstört vorfand, entschloß er sich sofort, zu bleiben, und den Betrieb wieder zu übernehmen. Die alte Konditorei sollte um jeden Preis gehalten werden! Es gab ein trostloses Weihnachten; selbst die Feuerung für die Backstube mußte auf dem schwarzen Markt besorgt werden. Es gab kein Mehl, keinen Zucker, keine Möglichkeit, den vielen alten Gästen, die nun wieder im Cafe auftauchten, irgend etwas zu bieten. Sie mußten schon selber heimlich erhandelte Zutaten bringen, wenn sie einen Kuchen gebacken haben wollten. In dem teuer erkauften Mehl war dann oft genug Gips, und das Fett war ranzig.

Der Betrug auf dem schwarzen Markt blühte. Mancher Potsdamer kaufte sich damals verstohlen in der Dunkelheit am Bahnhof eine teure Weihnachtsgans. Später erwies sich die Gans als zäh wie Leder und völlig ungenießbar. Es waren auch keine Gänse gewesen, die von dunklen Gestalten da nachts zwischen den Gleisen des zertrümmerten Bahngeländes angeboten worden waren, sondern — die letzten Havelschwäne!

Anfang Januar 1946 hatte sich Meister Rabien endlich die Backerlaubnis beschafft. Das erste, was er seinen Gästen bieten konnte, war ein dunkler Roggenkuchen, noch ohne Zucker. Aber schon da begannen die Leute anzustehen; fünfzig Bleche dieses Kuchens wurden an einem. Tag verkauft. Das ganze verrückte Durcheinander dieser aus den Fugen geratenen Zeit spiegelt sich in den Notizbüchern des Meisters aus dem Jahre 1946. Um backen zu können, mußte er Kohlen auf dem Schwarzmarkt kaufen. Kohlen gab es nur gegen Schnaps, und den Schnaps mußte man in Berlin besorgen.

Als „Gaststätte“ durfte man auch Wurst beziehen, und so kam jetzt die alte Exzellenz von Falkenhayn, die einst an dem Rabienschen Kuchenbüfett Genfer Torte verzehrt hatte, „auf ein Wurstbrot“ in die Konditorei. Natürlich gab es alles nur auf Marken, und da gelegentlich auf Fleischmarken auch Eier aufgerufen wurden, so ergab sich die groteske Situation, daß die Gäste der Konditorei Kuchen auf Fleischmarken bestellen konnten!

Im August 1946 ging Meister Rabien noch einmal über die „grüne Grenze“, um seine Frau und die vier Jungen herüberzuholen. Wie Tausende hoffte er damals, daß es doch wieder aufwärts gehen würde; er jedenfalls wollte alles versuchen, um die Konditorei wieder auf ihr altes Niveau zu bringen.

Im Jahre 1949 war es endlich so weit, daß Meister Rabien unter vielen Schwierigkeiten wieder ein Kuchenbüfett aufbauen konnte, das in Potsdam als nahezu einzigartig galt — wenn es auch mit den Büfetts der Westberliner Konditoreien nicht entfernt zu vergleichen war.

Es gab — natürlich immer noch auf Marken — schon wieder einfache Torten, Pfannkuchen und Cremeschnitten. Auch die alten Gäste, sofern sie das große Inferno überlebt hatten, kamen wieder „konditern“: Geheimrat Justi etwa, Professor Becker und sogar Prinzessin Leopold, die gelegentlich mit dem Rad von Glienicke herüberkam. Westberliner Kollegen halfen dem Meister auch immer wieder mit Zutaten aus, die in der Ostzone einfach nicht zu besorgen waren.

Doch gerade all die Mühe, die man sich in der Konditorei Rabien gegeben hatte, und die Lobsprüche aller, die dort konditerten, sollten eine neue Gefahr heraufbeschwören. Seit 1948 war die Handelsorganisation nach russischem Muster eingerichtet worden — die HO! Planmäßig „übernahm“ die HO, ganz abgesehen von ihren neu eingerichteten Verkaufsstätten, ein privates Geschäft nach dem anderen. Und sehr bald sollte der Meister zu spüren bekommen, daß die HO um jeden Preis das Haus am Brandenburger Tor für ihre Zwecke „gleichschalten“ wollte Es begann mit liebenswürdigen Verhandlungen. Aber hinter diesen Verhandlungen stand schon die erste unverkennbare Drohung.

Teil XIII - Abschied vom alten Haus

BERLINER MORGENPOST – SONNTAG, 13. NOVEMBER 1955


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